Training
02.11.2021
Gezieltes Muskeltraining auch für Frauen
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Gender-Gap im Training?
Die Gender-Diskussion reicht weit über den Sprachgebrauch hinaus. In der Medizin wird die GenderData-Gap diskutiert, die beispielsweise darauf hinweist, dass die Medikamentdosierung sich in erster Linie auf Datenbasis männlicher Probanden bezieht. Wie sieht das für das Gesundheitstraining aus?
Professorin Ingrid Gerhard hat in ihrem Buch „Frauen Gesundheit“, das dieses Frühjahr erschienen ist, ein Thema aufgegriffen, das in der Medizin, in der medikamentösen Therapie, schon seit Längerem diskutiert wird: Männer und Frauen brauchen unterschiedliche Behandlungen. Geschlechtsspezifische Unterschiede in der Wirksamkeit von Arzneimitteln sind mittlerweile bekannt, vor allem bei Schmerzmitteln und bei der Behandlung von Entzündungen. Eine generische Varianz liegt auch in der Inzidenz vieler Krankheiten, wie beispielsweise Osteoporose oder Gicht. Sogar manche Fitness-Einrichtung richtet sich gezielt an die weibliche Zielgruppe. TT-DIGI sprach mit der Expertin.
TT-DIGI: Lohnt sich eine differenzierte Betrachtungsweise im Hinblick auf die Gesundheit von Mann und Frau? Zum Beispiel in der Prävention?
Ingrid Gerhard: Frauen sind kleiner, leichter, beweglicher als Männer. Aber auch ihr Herz ist kleiner und schlägt schneller, die maximale Sauerstoffaufnahme ist geringer. Hinzukommt, dass der Hb-Wert niedriger als bei Männern ist, sodass das Blut weniger Sauerstoff transportieren kann. Die Ausdauerleistung kann dadurch erschwert sein. Da Sie die Prävention ansprechen, halte ich es bei Sport treibenden Frauen für besonders wichtig, dass sie regelmäßig ärztlich untersucht werden, inkl. Überprüfung des Blutbilds. Denn der Blutverlust bei der Menstruation kann im Laufe der Zeit unbemerkt durchaus erheblich sein.
TT-DIGI: Wie sieht das in Bezug auf die Fitness eines Menschen aus. Gibt es hier Ihrer Meinung nach einen Unterschied? Liegt das eventuell schon allein an den anatomischen und physiologischen Gegebenheiten?
Ingrid Gerhard: Wenn Sie unter Fitness Leistungsfähigkeit verstehen, dann gibt es tatsächlich Unterschiede. Die Mitochondrien, die man auch als Kraftwerke der Zellen bezeichnet, sind in den Muskelzellen der Männer größer und zahlreicher, sodass die Energiegewinnung leichter ablaufen kann. Die Muskeln übersäuern nicht so rasch. Frauen haben dagegen einen höheren Fettgehalt in den Muskelzellen, was Ausdauerleistungen verbessern kann.
TT-DIGI: Sollten Frauen anders an ein Muskelaufbautraining herangehen als Männer? Wenn ja, warum?
Ingrid Gerhard: Bei sportlicher Belastung bauen Frauen mehr Fett und weniger Eiweiß ab als Männer und verbrennen weniger Kohlenhydrate. Verantwortlich für diese Unterschiede sind zum Teil die weiblichen und männlichen Hormone. Bei Frauen sind je nach Zyklusphase die Östrogene 5- bis 15-mal höher als bei Männern, dagegen das Testosteron 10- bis 20-mal niedriger. Das bedeutet für Frauen aber auch, dass sie ihren Zyklus berücksichtigen sollten: In der ersten Hälfte mit besonders hohen Östrogenspiegeln können intensivere Belastungen angezeigt sein, in der zweiten Zyklusphase können bessere Ausdauerleistungen erbracht werden.
TT-DIGI: Gilt das genauso für ein Krafttraining?
Ingrid Gerhard: Auch für das Krafttraining gilt, dass frau auf den Körper hören und sich dem Zyklus anpassen sollte. Zudem sollten die Trainingseinheiten und damit die Belastungen langsam gesteigert werden. Während der Menstruation braucht keine Trainingspause gemacht zu werden, aber es kann durchaus sinnvoll sein, in dieser Phase nicht gerade Höchstleistungen erbringen zu wollen.
TT-DIGI: Gibt es Sportarten, die genderspezifisch sind?
Ingrid Gerhard: Aufgrund der Konstitution und des Körperbaus eignet sich für Frauen Ballett, Bodenturnen, Tanz, Yoga, aber lernen und ausführen können sie jede Sportart. Frauen wählen ihre Aktivität eher nach dem Spaßfaktor aus und Männer haben mehr den Wettkampfgedanken im Hinterkopf. Mit zunehmendem Alter ist es jedoch auch für Frauen wichtig, vielleicht nicht so geliebte Sportarten lieben zu lernen, wie beispielsweise neben dem Herz-Kreislauf- und Gleichgewichtstraining den gezielten Muskelaufbau zu trainieren.
TT-DIGI: Gibt es mentale Unterschiede, die ein Sporttherapeut im Training berücksichtigen sollte? Trainieren Frauen beispielsweise lieber in Gruppen und Männer einzeln?
Ingrid Gerhard: Das lässt sich schwer belegen und verallgemeinern. Die Motivation für ein Training in Gruppen ist sicher für Frauen anders als für Männer. „Einzelkämpfer“ gibt es bei beiden Geschlechtern. Nach meiner Erfahrung sind für Frauen aber der Spaßfaktor, das gemeinsame Erleben und der persönliche Austausch wichtiger als für Männer.
TT-DIGI: Können Sie Sporttherapeuten und Sportwissenschaftlern einen Rat geben?
Ingrid Gerhard: Sie sollten Frauen motivieren, auch ungeliebte Sportarten auszuprobieren, beispielsweise Muskeltraining an Geräten. Gleichzeitig könnten sie Männer motivieren, etwas für ihre Gelenkigkeit zu tun und nicht nur mit Muskelpaketen zu protzen.
TT-DIGI: Danke für das Gespräch.
Das Interview führte Reinhild Karasek.
Aufmacher: © Shutterstock.com_Maksim Toome
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