Digitalisierung

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Digitalisierung


23.09.2022

Standardisierung durch Digitalisierung

Standardisierung durch Digitalisierung

Messungen objektivieren und visualisieren

In der Sportphysiotherapie ist die Messung von Bewegungsparametern relevant, um den Heilungsverlauf während der Behandlung zu dokumentieren. Papier, Bleistift und Winkelmesser haben nun allerdings ausgedient! Dafür gibt es inzwischen digitale Lösungen.

Das Unternehmen OPED aus Valley in Oberbayern ist für seine Orthesen und Bandagen bekannt. Seit 2018 vertreibt es aber nicht nur Hilfsmittel, sondern auch einen digitalen Assistenten für Prävention, Rehabilitation und Organisation: Orthelligent Pro. Ungefähr 300 Praxen arbeiten bereits damit. Wie können Therapeuten und Trainer davon profitieren? TT-DIGI sprach mit Andreas Engl, Head of Digital Solutions.

Die OPED beschäftige sich seit 2016 mit digitalen Lösung, erzählt Andreas Engl: „Wir sind jetzt stark in der unteren Extremität“, beschreibt er die Expertise des Unternehmens. Zusammen mit Fachgesellschaften wollen sie weitere Bewertungsmaßstäbe in der Nachbehandlung von Verletzungen in den oberen Extremitäten erarbeiten. Standards in der Messung von Gelenkbeweglichkeit vorzulegen ist das erklärte Unternehmensziel.

Standardisierte Messwerte erleichtern die Therapie

Im Praxisalltag hantieren viele Physiotherapeuten und Sportphysiotherapeuten mit Papier, Bleistift und beispielsweise Stoppuhr, eventuell noch mit einem Winkelmesser. Die Ergebnisse können je nach Untersucher unterschiedlich ausfallen. Zudem ist die Weitergabe manuell erfasster Daten an den behandelnden Arzt kompliziert. Daraus erwuchs der Wunsch, die Messung zu digitalisieren, um sie objektivierbar, visualisierbar und dokumentierbar zu machen.

Die Standardwerte, die in der App hinterlegt wurden, generierte das Unternehmen selbst. „Unsere Werte basieren auf über 7.000 Patienten. Wir können sie individuell runterbrechen auf das Alter, das Geschlecht, auf den Tag nach OP, auf die Indikation,“ berichtet der Experte von OPED. Das gebe dem behandelnden Therapeuten nochmals Sicherheit in seiner Einschätzung und in der Zusammenstellung des Therapieplans, vor allem jungen, noch unerfahrenen Physiotherapeuten. „Denn das System steuert ihn, er wird von Mal zu Mal dazulernen und braucht es später nur noch kurz zur Kontrolle“, so Andreas Engl.

Präventionsmaßnahme ohne Mehraufwand

Auch im Training kann ein Ist-Zustand grafisch dokumentiert werden, der Divergenzen zum SollZustand offenlegt. Deshalb legt das Unternehmen parallel zur Therapie Wert auf die präventive Einsatzmöglichkeit im Sport.

Abweichungen von Standardwerten haben für Sportphysiotherapeuten, Sportwissenschaftler und Trainer eine hohe Aussagekraft. Andreas Engl erläutert: „Die wissenschaftliche Literatur belegt: Bei einer Dysbalance von mehr als 15% gegenüber der gesunden Seite liegt ein erhöhtes Verletzungsrisiko vor.“ In der Trainingssteuerung ist es folglich relevant, frühzeitig zu erkennen, wann sich ein Sportler verletzen könnte.

Physiotherapeuten, die eine Fußballmannschaft betreuen, können das digitale Tool mobil direkt auf dem Fußballplatz einsetzen. „Das geht ganz leicht, denn es braucht dazu keinen Internetanschluss, nur den kleinen Sensor und ein Tablet,“ so Andreas Engl und er fährt fort: „Die Untersuchungen können während des Trainings laufen. Der Trainer muss also keine wertvolle Trainingszeit für die Prävention opfern, weil die Dysbalancen schon während des Trainings ermittelt werden.“

Rehabilitation nach dem Motto „Return to Sports“

Die posttraumatische Rehabilitation wiederum könne, so Andreas Engl, basierend auf den Messwerten individuell auf den Patienten und seine Ziele angepasst werden. Wechselt innerhalb des Teams der Behandler, ist eine standardisierte Messung vorteilhaft, sodass die Dokumentation nicht von einem zum anderen Therapeuten anders aussieht.

Gerade die sportlich aktiven Patienten wollen einen schnellen Heilungsprozess. Ihnen ist es wichtig mitverfolgen zu können, wie die Regeneration voranschreitet, sie dokumentiert sehen, welche Fortschritte sie von einer zur nächsten Therapiesitzung vollzogen haben. Andreas Engl ist überzeugt: „So kann man den Patienten proaktiv mit einbinden und ihn motivieren.“ Vor allem sagen seiner Meinung nach Zahlen, Grafiken und Messwerte mehr als tausend Worte: „Das Visuelle ist wichtig, weil es der Patient sieht, nicht weil der Therapeut etwas sagt.“

Die digitale Messung der Bewegungsabläufe bietet dem Therapeuten auch gegenüber dem Arzt einen Mehrwert. Einerseits lässt sich der Behandlungsverlauf leichter dokumentieren, andererseits kann der Therapiefortschritt des Patienten faktenbasiert beurteilt werden. Andreas Engl sieht hierin die Anfänge zukünftiger Behandlungskonzepte: „Das ist der Weg von der zeitbasierten Behandlung, die beim Kreuzband beispielsweise standardmäßig sechs Monate vorsieht, zur funktionsbasierten Behandlung.“

Über die Standardphysiotherapie hinaus

Doch zuvor müssen große Hemmschwellen überwunden werden. Denn immer noch ist die Skepsis gegenüber der Digitalisierung hoch. „Therapeuten sind mit solchen Systemen teilweise überfordert, weil es nicht Teil ihrer Ausbildung ist und sie den Umgang mit digitalen Instrumenten nicht lernen“, so Engl. Die Konsequenz: „Deshalb besuchen wir Physiotherapieschulen, um digitale Systeme zu erklären und darzustellen. Wir wollen die jungen Therapeuten an die Digitalisierung heranführen und ihnen die Vorteile direkt aufzeigen.“

Der Angst vieler Therapeuten tritt er energetisch entgegen: „Der Vorteil der Digitalisierung ist, dass ich eine Therapie überall gleichwertig zur Verfügung stellen kann und nicht abhängig von einer Person bin. Wir wollen die Therapeuten ja nicht ersetzen, sondern wir wollen deren Wissen, deren Know-how für jeden zugänglich machen. Das ist ja eigentlich der Vorteil von Digitalisierung.“

Abschließend fasst Andreas Engl zusammen, welches Ziel das Unternehmen mit der Entwicklung der digitalen standardisierten Messung der Gelenkbeweglichkeit verfolgte: „Das war unser Ziel: Es muss erschwinglich sein, es soll für jeden Therapeuten anwendbar sein und die bestmögliche Nachbehandlung für jedermann erlauben. Sensor und App können wirklich überall eingesetzt werden. Für den Therapeuten bietet es den Vorteil, mehr als die Standardphysiotherapie anbieten zu können.“

Reinhild Karasek


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