Ernährung & Gesundheit
02.12.2024
Longevity – Hype oder neues Verständnis von Gesundheit?
Longevity entwickelt sich zu einem zentralen Thema im Gesundheitswesen, das zunehmend an Bedeutung gewinnt – nicht nur in den USA, sondern auch in Europa. Im Gegensatz zu kurzlebigen Trends zeigt sich, dass das Konzept der Longevity von nachhaltiger Relevanz ist, da es jeden Menschen betrifft und weitreichende Auswirkungen hat. Auch für Studiobetreiber und Physiotherapeuten bietet die Longevity-Forschung wichtige Erkenntnisse, die in die Praxis integriert werden können, um die langfristige Gesundheit und Funktionsfähigkeit der Patienten zu fördern.
Ursprung und Entwicklung des Longevity-Konzepts
Der Begriff „Longevity“ stammt ursprünglich aus dem angloamerikanischen Raum und wurde aus dem lateinischen „longaevitās“ (Individuum, welches eine lange Zeit lebt) abgeleitet. Er bezog sich zu - nächst primär auf eine hohe Lebenserwartung. In den letzten Jahrzehnten hat sich das Konzept jedoch weiter - entwickelt und ist zu einem wichtigen Forschungsgebiet in den Gesundheitswissenschaften geworden.
Die Longevity-Forschung zeichnet sich durch eine rasche Zunahme wissenschaftlicher Erkenntnisse aus. Zahlreiche Studien untersuchen den Einfluss verschiedener Faktoren auf Gesundheit und Langlebigkeit. Diese intensive Forschungsaktivität führt zu einem schnell wachsenden Wissenspool im Bereich Longevity. Im Gegensatz zu vielen Gesundheitstrends basiert das Longevity-Konzept auf solider wissenschaftlicher Evidenz. Allein im Jahr 2023 erschienen 5183 Wissenschaftliche Publikationen zu dem Thema und damit doppelt so viele wie noch 2013.
Lebenserwartung und gesunde Lebensspanne
Die Lebenserwartung (Life Expectation) ist die Zeit, die eine Person voraussichtlich leben wird, basierend auf ihrem Geburtsjahr, ihrem aktuellen Alter und verschiedenen demografischen Faktoren, ein - schließlich des Geschlechts. Sie ist immer statistisch definiert als die durchschnittliche Anzahl von Lebensjahren, die einem Menschen in einem bestimmten Alter noch verbleiben. Die durchschnittliche Lebenserwartung in Deutschland bei Geburt im Jahr 2022 beläuft sich:
- ››› für Frauen auf 82,7 Jahre (EU-Durchschnitt 83,2 J.) und
- ››› für Männer auf 77,7 Jahre (EU-Durchschnitt 77,4 J.).
Die Lebensspanne (Lifespan) bezieht sich auf die maximale Zeitdauer, die ein Organismus unter idealen Bedingungen leben kann. Für Menschen wird die theoretische maximale Lebensspanne mit etwa 120 Jahren angegeben. Jedoch gibt es auch prognostische Modelle bis 2100, welche die Wahrscheinlichkeiten auf noch höhere maximale Lebensspannen von bis zu 130 Jahren berechneten.
Der Begriff Gesundheitsspanne (Healthspan) beschreibt die Zeitspanne, in der ein Mensch innerhalb seiner Lebensspanne gesund ist. Die Gesundheitsspanne ist also kürzer oder maximal so lang wie die Lebensspanne. Ein Mensch kann früh im Leben erkranken, aber dennoch viele Jahre leben. Seit Mitte des 20. Jahrhunderts ist die Lebenserwartung um drei Jahrzehnte gestiegen. Die Gesundheitsspanne hat sich jedoch nicht parallel dazu entwickelt, was hauptsächlich auf die zunehmende Prävalenz chronischer Erkrankungen in der alternden Bevölkerung zurückzuführen ist.
Die Lücke zwischen Lebenserwartung und Gesundheitsspanne beträgt etwa neun Jahre, was bedeutet, dass Menschen etwa ein Fünftel ihres Lebens mit Krankheiten verbringen. Derzeit wird für 65-Jährige in Deutschland prognostiziert, eine Lebenserwartung noch von weiteren 20 Jahren zu haben. Jedoch:
- ››› 26 % der über 65-Jährigen berichten von Einschränkungen bei Alltagsaktivitäten,
- ››› mehr als 40 % der über 65-Jährigen haben mehr als eine chronische Erkrankung und
- ››› 65,7 % der Männer und 66,1 % der Frauen über 65 leiden an Hypertonie.
Für unter 65-Jährige ist demnach die Wahrscheinlichkeit hoch, die letzten 20 Lebensjahre nur mit Hilfe medizinischer Versorgung und mit eingeschränkter Lebensqualität zu erleben. Betrachtet man jedoch die aktuellen Zahlen zur Entwicklung bzw. Verbreitung weiterer zum Metabolen Syndrom zugerechneter Störungen wie Adipositas, Diabetes und atherosklerotischer Veränderungen bzw. psychischer Erkrankungen, muss von einer wesentlich kürzeren Gesundheitsspanne bei gleichzeitig längerer Krankheitsspanne ausgegangen werden. Von Adipositas- und Depressionserkrankungen sind bereits heute auch viele Menschen unter 65 Jahren betroffen.
Altern und Krankheiten verlaufen nicht linear
Der Alterungsprozess ist komplex und multifaktoriell. Die damit verbundenen physiologischen Veränderungen sind eng mit verschiedenen Krankheiten verbunden, darunter Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Diabetes, Neurodegeneration und Krebs. Das Verständnis der dem Alterungsprozess zugrunde liegenden Mechanismen und die Identifikation potenzieller therapeutischer Ansatzpunkte für altersassoziierte Erkrankungen basieren maßgeblich auf der Analyse molekularer Veränderungen. Untersuchungen ergaben, dass nur 6,6 % der Moleküle sich linear veränderten, während 81,03 % der untersuchten Moleküle nichtlineare Veränderungen während des Alterns aufzeigten.
Chronische Erkrankungen folgen keinem linearen Verlauf in Bezug auf das chronologische Alter. Vielmehr zeichnen sich spezifische Zeitfenster im menschlichen Lebenszyklus ab, in denen das Erkrankungsrisiko signifikant ansteigt . Identifiziert wurden zwei Hauptübergangsphasen von 44 Jahre und 60 Jahre.
Das Muster des Alterns spiegelt also wichtige biologische Prozesse wider, dennoch sind die nichtlinearen Veränderungen verschiedener Moleküle während des Alterns noch wenig erforscht. Es ist auffällig, dass die umfassende Analyse dieser sich verändernden molekularen Profile im menschlichen Alter bisher nicht vollständig genutzt wurde, um wichtige Erkenntnisse über die Biologie des Alterns zu gewinnen. In der nächsten Ausgabe blicke ich auf den Paradigmenwechsel in Medizin und Longevity und das Modell Live Essential 8.
Michael Lutz
Quellen
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8 Demontis, F. The science of longevity and the quest to solve an age-old problem. Nat Aging 3, 1313–1314 (2023).
9 Ram, U. et al. Age-specific and sexspecific adult mortality risk in India in 2014: analysis of 0.27 million nationally surveyed deaths and demographic estimates from 597 districts. Lancet Glob. Health 3, e767–e775 (2015).
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