Therapie

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05.05.2021

In die Schlingen, fertig, los!

In die Schlingen, fertig, los!

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Grundlagen und Einsatzmöglichkeiten des Schlingentrainings

In der Not entstehen manchmal die besten Dinge. So liegt der Ursprung des Schlingentrainings in einer Problemlösung. Ein von Rückenschmerz geplagter norwegischer Zimmermann baute sich aus Holz und Seilen eines alten Segelbootes eine Schlingenkonstruktion, die es ihm ermöglichte, mittels Traktion und einfachen gymnastischen Übungen seine Rückenschmerzen in Griff zu bekommen.

Dies war die Geburtsstunde des ersten Schlingentrainers. Was als Selbsttherapie begann, entwickelte sich in den 90er Jahren in Norwegen schnell zu einer beliebten Methode zur Behandlung von sämtlichen
muskuloskelettalen Beschwerden. Dass der Ursprung des Schlingentrainings in der Therapie liegt, ist heute nicht mehr auf den ersten Blick ersichtlich. Der Suchbegriff „Schlingentraining“ führt heute überwiegend zu Fotos von Sportlern, die sich waghalsig in die Schlingen hängen.

So vielfältig das Einsatzspektrum des Schlingentrainers, so vielfältig ist auch das Angebot der Schlingentrainingssysteme auf dem Markt. Das Grundprinzip bleibt jedoch immer das Gleiche - zwei Seile oder Bänder, an deren Enden sich jeweils ein Griff bzw. eine Schlaufe befindet, werden an der Decke befestigt. Dabei ist man in Bezug auf den Einsatzort sehr flexibel, das Training kann somit nicht nur drinnen sondern auch draußen stattfinden, indem der Schlingentrainer beispielsweise an einem stabilen Ast oder einem Spielplatz angebracht wird.

Instabilität und freie Beweglichkeit

So viel zu Geschichte und Aufbau des Schlingentrainers, jetzt hängen wir uns rein in die Seile. Das Erste, was jedem sofort auffällt, der zum ersten Mal in den Schlingen trainiert: „Ganz schön instabil das Ganze…“. Genau diese Instabilität und die freie Beweglichkeit der Seile hebt das Schlingentraining vom gerätegestützten Training ab. Die Seile ermöglichen es unserem Körper, sich in allen drei Dimensionen des Raumes frei zu bewegen.

Die Instabilität und die freie Beweglichkeit stellen einen hohen neuromuskulären Anspruch dar. Um diesen Anspruch gerecht zu werden, muss nicht nur die oberflächliche globale Muskulatur, sondern auch die lokale tiefliegende Muskulatur arbeiten. Die Instabilität der Seile provoziert einen hohen sensorischen Input (Afferenz), der mit einem hohen motorischen Output beantwortet wird (Efferenz). Daher können wir beim Schlingentraining von einem sehr effektiven neuromuskulären Training sprechen.

Ganzheitliches Training der Muskelketten

Aber auch der Transfer aus dem Training in den Alltag oder zu sportartspezifischen Anforderungen gelingt beim Schlingentraining durch die freien und funktionellen Bewegungen sehr gut. Diese funktionelle Überlegenheit gegenüber einem herkömmlichen Krafttraining wird durch mehrere Studien gestützt. Komplexe Bewegungen im Alltag und im Sport sind das Ergebnis eines intelligenten Zusammenspiels einzelner Muskeln im Körper. Diese einzelnen, nacheinander aktivierten Muskeln funktionieren dann zusammen als Muskelkette. Das ganzheitliche Trainieren von Muskelketten ist ein Kerngedanke des Schlingentrainings.
Je besser die intermuskuläre Kommunikation innerhalb einer Muskelkette ist, desto ökonomischer werden unsere Bewegungsabläufe.

Höheres Fehlerrisiko

Das instabile und freie Training in der geschlossenen kinetischen Kette ist mit vielen Vorteilen verbunden. Im Gegensatz zu geführten Bewegungen an Trainingsgeräten ist das Fehlerrisiko hier jedoch auch höher. Umso wichtiger ist es sowohl für den Trainierenden als auch für den Trainer die unterschiedlichen Möglichkeiten der Progressions- und Regressionsmöglichkeiten zu beherrschen.

Die Intensität kann bei Übungen im Stand beispielsweise stufenlos durch eine Veränderung des Körperwinkels angepasst werden. Unter Einsatz von Expandern, kann sogar eine stufenlose Entlastung stattfinden. Diese Möglichkeit der Regression bietet vor allem im therapeutischen Kontext, aber auch im Personal Training enorme Vorteile. Hierbei handelt es sich um eine zusätzliche Schlaufe,
welche am Becken angebracht wird. Die Beckenschlaufe übernimmt einen Teil des Körpergewichts, je stärker sie vom Trainer auf Spannung gezogen wird. Je weniger Gewicht die Beckenschlaufe trägt, desto intensiver wird die Übungsausführung für den Trainierenden. In der Summe der Möglichkeiten kann die Intensität an alle Leistungsniveaus angepasst werden, vom medizinischen bis zum leistungsorientierten Training.

Mit den Schlingen zu mehr Beweglichkeit

Neben dem funktionellen, neuromuskulären Training an den Schlingen eignen sich diese auch hervorragend, um an der Beweglichkeit zu arbeiten. Wie bei der Kräftigung können wir uns auch beim Thema Dehnen und Mobilisation an den myofaszialen Ketten orientieren. Auch in diesem Kontext ergreifen wir den Körper als ganzheitliches System. Die Schlingen stellen hierbei sozusagen die natürliche Verlängerung dieser Ketten dar.

Die freie Beweglichkeit der Seile ist auch hier ein großer Vorteil. So können durch kleine Variationen die Zugrichtung sowie die Intensität verändertwerden. Stehen die Schlingen normalerweise für mehr Instabilität, können diese beim Dehnen und der Mobilisation hingegen eine gute Führung und Unterstützung darstellen. Ohne jedoch im Gegensatz zu einem gerätegestützten Beweglichkeitstraining die Bewegungsfreiheit einzuschränken. Das Beweglichkeitstraining bekommt an den Schlingen ein dreidimensionales Verständnis.

Breites Ausbildungsangebot

Wie aufgezeigt, weist das Schlingentraining viele Facetten auf. Die Einsatzmöglichkeiten, die uns das Schlingentraining bietet, sind daher auch sehr unterschiedlich und vielseitig. Das Ausbildungsangebot im deutschsprachigen Raum wird diesem Facettenreichtum gerecht. Die Bandbreite der Ausbildungen bewegt sich somit vom medizinischen Training, leistungsorientierten Training, speziellen Groupfitness-Formaten bis hin zu Mobility und Yoga-Ausbildungen an den Schlingen. Therapeuten und Trainer bieten sich somit gute Möglichkeiten, sich spezifisch in ihrem Kerngebiet weiterzubilden.
Marcel Doll

Fotograf aller Fotos: Samuel Hess


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