Marketing & Management

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16.05.2023

Rosarote Brille, Schubladen & Co.

Rosarote Brille, Schubladen & Co.

Einfluss von Umfeldfaktoren bei der Informationsbeurteilung

Begegnen sich völlig fremde Personen, stellen sie sich unterbewusst die Frage: Ist die Person gut und nützlich? Das lenkt unsere Informationsbewertung – bei einem Bewerbungsgespräch oder Kunden-Ersttermin.

Gute Eigenschaften wie Freundlichkeit, Engagement, Haltung oder Hilfsbereitschaft werden positiv bewertet. Der Begriff „nützlich“ scheint u.U. abschreckend. Dahinter steckt eine Evolutionstheorie und heute würden wir es mit Kompetenz, Cleverness und Intelligenz übersetzen.

Im beruflichen Kontext geht es darum, ob Personen Charakteristika, Fähigkeiten und Fertigkeiten mitbringen, die in einer Gefahrensituation – heute: Deadline, Projektzielerreichung, Pitch, Druck durch starke Mitwettbewerber etc. – unterstützend sein können und das Team stärken.

Zur Beurteilung von Informationen laufen kognitive Prozesse ab. Sie geben Verzerrungen der Wahrnehmungen wider, die von den Erfahrungen des Beurteilenden beeinflusst werden. Das menschliche Gehirn überprüft im Energiesparmodus sämtliche Informationen auf Bekanntheit.

Was nicht passt, wird quasi passend gemacht und in Schubladen eingeordnet – Verzerrung als Wahrnehmungsstörung, -täuschung oder -fehler. So kann Unbekanntes schneller verarbeitet bzw. darauf reagiert werden. Umfeldfaktoren tragen erheblich zur Informationsbeurteilung und Verzerrung bei.

Der Halo-Effekt

Beim Halo-Effekt sticht ein als positiv beurteiltes Merkmal hervor und dominiert die Bewertung aller anderen Eigenschaften. Es legt sich wie ein Schleier über die Person oder sie wird durch die rosarote Brille gesehen.

Dieser Effekt wird auch Heiligenschein-Effekt genannt. Studien kommen zum Ergebnis, dass der Effekt der physischen Attraktivität besonders stark ist. Völlig fremde Personen, die attraktiv sind, werden demzufolge ohne Überprüfung eher als intelligent, erfolgreich oder sozialkompetent beurteilt. Im weiteren Verlauf wird über Fehler eher hinweggesehen. Die Person ist fast unantastbar. Für Teambuilding-Prozesse ist das hinderlich.

Der Horn-Effekt

Das Gegenstück ist der Horn-Effekt, auch Teufelshörner-Effekt genannt. Hervorstechende und negativ kategorisierte Merkmale wirken unverhältnismäßig stark auf den Gesamteindruck einer Person.

Es kann zu Fehleinschätzungen der Kompetenz in Bewerbungsverfahren oder Prüfungen kommen. Ungepflegtes Äußeres, unangemessene Kleidung – auch für Namen oder Dialekte ist dies belegt – führt zur Zuschreibung weiterer negativer Eigenschaften wie geringes Bildungsniveau.

In Bewerbungsgesprächen schnitten so adipöse Bewerberinnen schlechter ab als Normalgewichtige. Belegt ist der negative Einfluss auch auf die Patientenzuwendung qualitativ wie quantitativ durch das Gesundheitspersonal. Dies verstärkt sich mit sinkender Arbeitszufriedenheit, u.a. hervorgerufen durch die unzureichende Ausstattung. Mit einer Missbilligung kann so direkt die Ablehnung aller inhaltlichen Beiträge einer Person, zum Beispiel in einer Teamsitzung, verbunden sein (Negation der Negation).

Informationsbewertung

Das Umfeld färbt auf die Informationsbeurteilung ab. Das wird im Marketing gezielt eingesetzt, aber auch in Verhandlungsgesprächen oder in der Raumgestaltung. Die Umgebungsbedingungen – Ort, Temperatur, Licht oder Anwesende – beeinflussen, in welcher Form und mit welcher Intensität Informationen beurteilt werden.

Ablenkung wie ein frischer Kaffeeduft oder ein farbenfroher Blumenstrauß wirkt sich auf die Fähigkeiten der kognitiven Informationsbeurteilung aus. Die Ablenkung, auch in Form von Multitasking, Zeitdruck oder Lärmbelastung, führt eher zur peripheren Informationsbeurteilung statt zur tiefergehenden Auseinandersetzung (zentrale Route). Fehler sind so vorprogrammiert.

In Bewerbungsgesprächen waren Personaler milder in der Beurteilung der Bewerber, wenn sie vorher kurz eine heiße Tasse bzw. Becher gehalten haben. Ebenso verlaufen Verhandlungen in weichen, bequemen Polstern im Vergleich zu harten Stühlen „weicher“ bzw. konstruktiver ab.

Auch das inhaltliche Umfeld wirkt sich auf die Beurteilung aus. Produktplatzierungen in Filmen oder Videocasts sollten zum Inhalt passen oder umgekehrt. Nicht zuletzt beeinflussen Gestaltung und verwendete Materialien für die Praxis- oder Studioräume die Beurteilung. Hochwertige Ausstattungen werden mit höherer Kompetenz oder hochwertigen Produkten und hohen Preisen assoziiert.

Wichtig ist, dass wir alle von diesen und weiteren Wahrnehmungsverzerrungen betroffen sind, uns darüber bewusst sind und diese reflektieren. Das heißt, die kognitiven Verzerrungen zu erkennen, zu hinterfragen und auf diese Weise zu reduzieren. Im Team kann die Intervision eine dahingehend unterstützende Methode sein.

Claudia Winkelmann


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